Málaga
Mitten im Meeting brummt mein Handy. Sicher Rose, die was vergessen hat. Ich drücke auf den Seitenknopf.
Liebe Marla, gerade kam Apologize im Radio und ich musste an dich denken. Bist du noch in Wien? XOXO Elise
Ich drücke nochmal auf die Seitentaste, der Bildschirm wird schwarz.
„Frau Kopnits?“ Leon sieht mich durchdringend an. Hinter ihm steht Besser Wohnen Morgen auf der PowerPoint. Acht Augenpaare auf mir.
„Ich finde nicht, dass das überzeugend klingt, ehrlich gesagt.“
„Das ist schön, dass sie uns das so konstruktiv mitteilen.“ Ach, Leon.
„Ich finde einfach, dass diese kurzen Slogans nicht unsere Identity widerspiegeln, Herr Haas.“
„Und was ist Ihr Vorschlag?“
„Etwas Wärmeres. Etwas Längeres. Mit uns auch morgen sicher wohnen, oder etwas in die Richtung.“ Nicken von Zimmer, Czerkovic und Kelis.
„Notieren Sie das, Herr Haas.“ Czerkovic mit dieser tiefen Stimme, diesem wilden tschechischen Akzent.
Wieder Nicken. Auch Leon nickt und kneift die Augen zusammen dabei. Er schreibt etwas auf, dann redet er weiter. Ich drücke wieder auf die Seitentaste. Es kann nicht sein.
und ich musste an dich denken
ich musste an dich denken
Élise musste an mich denken. Wegen Apologize. Warum genau jetzt? Warum nach sieben, nein, acht Jahren? War in ihren acht Jahren noch nie Apologize im Radio gelaufen?
XOXO Elise
Sie schreibt ihren Namen nicht mehr mit Akzent. Früher hat sie das gemacht. Mein Name soll ein Aufwand sein, ein Aufwand, der Grenzidentitäten widerspiegelt, hat sie gesagt an dem ersten Tag an der Austausch-Uni, und: Élise, wie die Muse von Bach. Dabei hat sie mich ernst angesehen. Man weiß es nicht, habe ich gesagt, also man ist sich nicht sicher, vielleicht hat Bach nur schlecht geschrieben und hat eigentlich Therese gemeint. Und Élise mit dem Akzent auf dem É hat gelächelt, mir die Hand hingehalten und gefragt: Und du, wer bist du?
Zimmer schaut auf seine Uhr und räuspert sich: „Ich muss zum nächsten Meeting. Danke, Herr Haas. Das mit der Zeit müssen Sie noch optimieren.“
Leon nickt und blinzelt dreimal.
Alle stehen auf, Zimmer, Kelis und Czerkovic. Ich sammle alles vor mir ein, Handy, Block, Notebook, und stehe auch auf.
„Fuck, Marla, was sollte das?“
„Ach komm schon, Leon. Nur, weil der kacke war, der Slogan, ist doch egal. Lass Mittagessen gehen nachher, ich lad dich ein, ja?“
„Bis halb hab‘ ich Konferenz.“ Er sieht versöhnt aus.
In meinem Office esse ich eine Erdbeere, die Rose mir hingestellt hat. Eine einzige Erdbeere. Wer macht denn so was.
-
„Was war vorher mit dir?“
„Wie, was war mit mir?“ Ich beiße in das Chia-Rucola-Sandwich, das nach gar nichts schmeckt. Leon kaut mit halboffenem Mund an einer Karotten-Hirse-Quiche mit irgendwelchen Nüssen drauf. Wenn wir nicht an Überstunden sterben, dann an dieser Healthy-Öko-Scheiße hier.
„Bevor du mich runtergemacht hast, da war irgendwas.“
„So ein Quatsch.“
„Wenn du meinst. Du kannst lügen, wie du willst, Marla, ich kenn‘ dich.“
„Nein, Mann, alles klar, mir gehen nur alle auf die Nerven.“
„Vor allem der Zimmer, oder?“ Leon hält inne und schaut mit gerecktem Kinn in die Luft. „Herr Haas, leisten Sie mehr, Herr Haas, optimieren Sie die Zeit, Herr Haas, wieso haben Sie keine Familie, Herr Haas, Hobbies sind etwas für Kinder.“
Ich muss lachen. Chia fliegt durch die Luft.
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Zuhause reiße ich eine Packung Salzstangen auf, während ich mir den zweiten Schuh abstreife.
ich musste an dich denken
Was soll man darauf antworten? Auf jeden Fall etwas. Irgendetwas.
Liebe Elise.
Nein, nicht liebe. Das klingt, als würde ich bald sterben.
Hey.
Besser. Ich tippe weiter.
Hey. Schön, von dir zu hören! Nein, ich bin nicht mehr in Wien, bin jetzt in Berlin. Und du so?
Man darf sich nicht lange mit sich selbst aufhalten. Ich drücke auf Senden.
Ich klappe den Laptop auf. Dreißig unbeantwortete Mails. Mama fragt, ob ich noch lebe. Eine Firma will, dass ich eine Million mit Diamanten verdiene. Kelis schickt einen Haufen Klauseln. Ich öffne Facebook. Elise Luise, so heißt sie immer noch.
Ich wollte nicht nach Spanien eigentlich, hat sie gesagt, und: Eigentlich wollte ich ja weit weg, aber das Geld war leer. Ständig hat es solche verdrehten Sachen gesagt, das große Mädchen aus dem Elsass. Ich habe nicht nachgefragt, wohin sie denn eigentlich wollte. Was weit weg für sie war. Ich habe sie reden lassen. Ich studiere Wirtschaft, damit nicht nur Arschlöcher nachher ansagen, was passieren soll, hat sie gesagt und tinto de verano getrunken, und ich habe geschwiegen. Mein Exfreund hat die Beziehung beendet, weil er eifersüchtig ist auf Spanier, hat sie gesagt und an mir vorbeigeschaut.
Ihr Facebook-Profil ist nutzlos. Ich scrolle, klicke auf Bilder, dann auf Infos. Ein Link zu einer Instagram-Seite. Ich klicke mich durch die Bilder. Essen wie heute Mittag, nur passend mit Strand im Hintergrund, und durchtrainierten Menschen. Und dann sie, auf einem Boot, ein Tuch um die Hüften gebunden, der Blick leicht über die Kamera. Fuck.
Ich habe ihm gesagt, dass ich ihn sowieso nicht mit Spaniern betrügen würde, sondern wenn überhaupt mit Spanierinnen, hat sie gesagt und ich habe uns mehr Wein eingeschenkt und blind auf das Meer von Málaga geschaut.
Sie trägt ein Baby auf einem Instagram-Foto. Ist sie Mutter? Ich esse drei Salzstangen auf einmal und muss husten. Ich drücke auf die Handy-Seitentaste. Null neue Nachrichten.
Es ist zwei Uhr, als ich mich endlich hinlege. Ich kneife in meine Oberschenkel und schubse das Bindegewebe hin und her. Vielleicht hat sie sich vertan mit der SMS.
Ich träume von Fischen. Von hässlichen Fischen, die den Meeresboden abgrasen und nichts finden.
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Am nächsten Morgen ist Mittwoch. Als ich den Wecker zur Seite wische, sehe ich die Nachricht.
Marla, ich freu mich! Ich komme zufällig nach Berlin am Wochenende für ein Filmfestival, sehen wir uns? XOXO
Ein Schweißtropfen rollt meine Achsel runter. Dieses Wochenende. In vier Tagen. Ich lese die Nachricht dreißigmal, bevor ich antworte.
Ja, gerne. Samstagmorgen Brunch?
Morgens hat man die Welt unter Kontrolle. Ich konzentriere mich auf meine Atmung. Ein und aus. Ich bin nicht die Mitte der Erde. Ich bin ein kleines Teilchen im Nichts.
Die Antwort kommt, während ich mir die Strumpfhose anziehe.
Super! XOXO
Hoffentlich spricht sie es in ihrem Kopf Süpäääär aus. Hoffentlich hat sie das nicht auch geändert.
Die nächsten Tage unterscheiden sich nur durch die Farbe der Blusen. Die Nächte springen zwischen Tiefschlaf und den Fischträumen hin und her.
Freitagabend gehe ich früh ins Bett.
-
Ich sehe sie schon am Tischchen sitzen, hinter ihr ein Haufen Leute. Ich bereue es, dieses Hipster-Café ausgesucht zu haben. Alle Blicke auf mir, als ich auf sie zusteuere. Ich kann sie sehen, die Blicke, kann die Gedanken hören: Die gehören zusammen? Ich lächle. Élise sieht aus wie auf den Fotos, braungebrannt und durchtrainiert. Sie sieht mich erst, als ich vor ihr stehe.
„Marla“, ruft sie laut und hell.
Ich lächle weiter. Sie steht auf und nimmt mich in den Arm. Fuck, ist sie dünn.
„So schön“, sagt sie und strahlt dabei und ihr Akzent klingt nicht mehr französisch, sondern englisch irgendwie. Ich weiß nicht, was ich sagen soll.
„Ja, verdammt“, sage ich und lächle weiter. Sie zieht mich neben sich auf ein Bänkchen und legt ihren Arm um mich. Sie riecht noch nach diesem Deo, Dove, wie früher. Auch, wenn ich Tauben eigentlich super scheiße finde, aber das riecht nach Seife, so, wie Seife riechen soll, hat sie gesagt.
„Marla, du siehst echt schick aus!“
„Danke, du siehst auch richtig gut aus. Sportlich, Mensch.“
Sie lacht wieder und löst ihre Haare. Wenn sie nicht so viel Schminke trüge, sähe sie jetzt aus wie vor acht Jahren. Vielleicht denkt sie das Gleiche von mir.
„Was ist das für ein Festival?“
„Seit wann bist du denn in Berlin?“
„Glückwunsch.“
„Super!“ Sie sagt super, nicht süpäääär. Aber ihr Arm und das Dove-Deo sind noch um mich gelegt.
„Was ist eigentlich aus diesem Italiener geworden, weißt du das?“
„Die Zeit rennt, weißt du? Manchmal habe ich Angst, ich sterbe morgen und merke es nicht einmal.“
Immer mehr wird sie die Élise, die ich kannte.
„Wie ist das mit den ganzen schönen Menschen um dich rum, am Strand und so?“
„Zeig mal wen aus deiner Arbeit. Da, wer ist der da? Leon, was für ein Name. War scheiße im Bett? Glaub ich sofort. Die Deutschen sind eben unerotisch.“
Wir schweigen. Acht Jahre sind so viel und so gar nichts. Deutsche sind unerotisch. Hat sie das damals auch gedacht? Sie macht die Haare wieder zusammen. Élise, will ich sagen, lass sie offen, dann sind wir wieder 21.
Sie sagt lange nichts. Und dann: „Weißt du noch, Apologize?“
Ich nicke. Wie könnte ich das auch nicht wissen. Der letzte Höhenflug, der letzte Abend am Meer, wir fingen schon nachmittags an, Wein zu trinken. Am nächsten Tag würde ich nach Wien fliegen und Élise würde ins Elsass trampen.
Wir gingen tanzen und One Republic heulte It’s too late to apologize und der Italiener versuchte, mit ihr zu tanzen, nur mit ihr, und Élise war ganz ernst in ihrer Betrunkenheit und stieß ihn beiseite und sagte: Lass zu mir gehen, hier sind nur Arschgesichter. In ihrem kleinen Zimmer zog sie mir das peinliche Strandkleid aus und ich zerstörte fast ihr enges Top, als ich es ihr über den Kopf zog. Wir lachten und dann irgendwann war es leise.
„Hast du es nie gehört im Radio bis letzte Woche?“
Sie trinkt einen Schluck von ihrem Kaffee und sieht mich an, ganz ohne Blinzeln.
„Doch, schon. Aber ich wusste nicht, was das alles war mit uns, Marla, und du warst ja auch weit weg.“
„Wien ist nicht weit weg.“
„Ich meine nicht Wien.“
Ihr Zopf fällt wieder. Sie macht eine Bewegung Richtung Nacken, aber ich nehme ihre Hände, bevor sie alles zurechtrücken kann.
„Lass mal.“
Sie lächelt und lässt die Haare genau da, wo sie waren.
Und wir sitzen an unserem letzten Tag in Málaga in ihrem Zimmer.
Und ich habe meine Unterhose falschherum an.
Und die zerzauste Élise mit Akzent auf dem É hat eine leichte Fahne, als sie mich küsst.